Work Rave Sleep Repeat!

Text von Fabian Peltsch, Musikexpress, 07/2021

Der Katze an der Leine begegnete Ronja Falkenbach an einem verkaterten Nachmittag im Ausgehviertel Hongdae. „Ganz plötzlich bog sie um die Ecke und zog den Besitzer, einen jungen Mann, sprichwörtlich hinter sich her“, erinnert sich die Berliner Fotografin, die für ein Fotografiestudium in die südkoreanische Hauptstadt Seoul kam. Der Lachflash war bald vorüber, haften blieb der Satz „Cat On A Leash“, den sie schließlich als Titel für ihre Fotoserie über die lokale Clubszene wählte. „Die Katze ist ein Tier, das sich nicht bändigen lässt, selbst wenn man es an die Leine legt. Das erschien mir eine gute Metapher für die jungen koreanischen Clubber, die ihren eigenen Kopf haben und eigene Wege gehen jenseits von K-Pop.“

Zu Techno die Nächte durchzutanzen ist ein recht junges Phänomen in Südkorea. Das erste echte Venue für elektronische Tanzmusik eröffnete 2012. Seitdem haben sich Clubs wie „Cakeshop“, „Faust“ und „Beton Brut“ zu Safe Spaces entwickelt, in denen man den von Leistungs- und Anpassungsdruck geprägten Alltag für ein paar Stunden hinter sich lassen kann.

Viele der Porträtierten hatte Falkenbach bereits vor ihrer Abreise über Instagram kontaktiert. Andere lernte sie im Laufe der Nächte kennen, darunter eine junge Frau namens Hyun Jung, die ihr aufgefallen war, da sie immer allein in die Clubs kam. „Tagsüber mit einem langweiligen Bürojob beschäftigt, tanzte sie in Itaewon regelmäßig die Wochenenden durch“, sagt Falkenbach. Eines ihrer Bilder zeigt die befreit lächelnde Hyun Jung vor der untergehenden Sonne auf der Hannam-Brücke, unweit von Itaewon. „Ich fragte sie, was all die Telefonnummern zu bedeuten hätten, die hier überall auf den Geländern klebten“, erinnert sich die Fotografin. Hyun Jung erklärte, dass es sich um Notrufnummern handele, „für all die Menschen, die sich hier in den Tod stürzen wollen“. Südkorea ist unter den entwickelten Industrienationen seit mehreren Jahrzehnten einer der höchsten Suizidraten. Während der Corona-Krise nahmen sich vor allem junge Frauen das Leben. Lokale Zeitungen schrieben von einem „stillen Massaker“. Im patriarchalen Südkorea fielen sie als Erste durch das Sicherheitsnetz.

Von dem Virus war wiederum besonders das Ausgehviertel Itaewon betroffen. Grund war ein 29-jähriger Superspreader, der innerhalb eines durchgefeierten Wochenendes im Mai 2020 Dutzende Menschen angesteckt hatte. Es kam zu Zwangsschließungen, wobei die Behörden vor allem die Schwulenclubs als Epizentren ausmachten. Mithilfe von Handy- und Kreditkartendaten wurde nach Gästen gefahndet. Viele Homosexuelle hatten Angst, durch die im Nachhinein anberaumte Testpflicht zwangs geoutet zu werden und ihre Arbeit zu verlieren. Gleichgeschlechtliche Liebe ist in Korea nicht verboten, aber gesellschaftlich immer noch stigmatisiert.

Doch das Virus hatte auch etwas Gutes. Verschiedene Venues haben sich unter dem Druck der Schließungen zu einem Zusammenschluss ähnlich der Berliner Club Commission zusammengetan. Sie wollen erreichen, dass Clubs als kulturelle Institutionen anerkannt werden, sie mehr Notfallgelder in Anspruch nehmen dürfen und niedrigere Lizenzgebühren zahlen müssen. Ronja Falkenbach, die ihre intimen und dynamischen Szenen aus der Nacht clubgerecht auf Sticker druckte, empfand die Techno-Szene von Anfang an als Ort des Zusammenhalts. „Für die südkoreanische Gesellschaft, die alternative Lebensentwürfe noch immer schwer zulässt, kann die Kreativität, die sich hier im Nachtleben bündelt, ein Vorbild sein“, glaubt sie.



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